Das Ende der Ü-30-Party

Das Tempolimit bringt viel Ruhe bei Nacht und ein bisschen Ärger am Tag

 

Zwischen 22 und 6 Uhr herrscht an vielen Stellen in Friedrichshafen - hier die Albrechtstraße - ein Tempolimit. (Foto: lix)

Von Erich Nyffenegger

Friedrichshafen Nein, es kann wirklich keiner behaupten, er habe von nichts gewusst: Die temporäre Absenkung der erlaubten Geschwindigkeit in Friedrichshafen und Fischbach ist derart deutlich ausgeschildert, dass man sie praktisch nur bei geschlossenen Augen übersehen könnte: Im Bereich der MTU-Werkseinfahrt sticht ein LED-Verkehrszeichen grell in den vorsommerlichen Nachthimmel.

Wenige Meter weiter blinkt auf der Maybachstraße an einer Messstation hektisch die gerade gefahrene Geschwindigkeit und ein Smiley grinst, wenn der Autofahrer brav bei 30 Stundenkilometern bleibt. Fährt er schneller, dann guckt das Leuchtgesicht recht böse drein. Das versteht auch ein Kindergartenkind. Flankiert ist dieses auffällige Lichtspiel-Szenario von einem Spalier aus Blitzern, die jederzeit scharf schießen können.

Anwohner schlafen ruhiger

Die Testfahrt an diesem Abend verläuft ruhig: Die wenigen Fahrzeuge bleiben hübsch langsam. Auch bei penibler Einhaltung des Geschwindigkeitsgebots zeigen die Hintermänner keine Ausfallerscheinungen wie Drängeln oder Hupen. Die Entdeckung der Langsamkeit. Ruhe senkt sich übers Gemüt, meditative Stimmung erfüllt die Seele, die Entschleunigung entfaltet sich still. Oohhhhmm.

„Der Großteil der Bevölkerung ist sehr zufrieden. Die Anwohner fallen mir um den Hals“, sagt Christian Stenzel. Er ist Vorsitzender der Fischbacher Runde, die sich maßgeblich für die Einführung des Tempolimits von 50 auf 30 km/h zwischen 22 und 6 Uhr eingesetzt hat. Seit September 2011 können die Anwohner aus Stenzels Sicht jetzt wieder ruhiger schlafen.

Goran (Name von der Redaktion geändert) aus Friedrichshafen sieht nicht so aus, als interessiere ihn die Nachtruhe der Fischbacher besonders. Auch sein Auto, ein weißer Kleinwagen mit ganz viel Spoiler dran, sieht richtig böse aus. „Die spinnen doch“, meint der Azubi und pustet verächtlich den Rauch seiner Zigarette aus den Nasenlöchern, was seiner Meinung etwas Endgültiges, Nachdrückliches verleiht.

Er steht mit ein paar Freunden auf dem Burger-King-Parkplatz. Hier – etwa gegen Mitternacht – finden sich kaum Fans des nächtlichen Tempolimits. „Jetzt fahren wir halt außen rum“, sagt ein junger Kerl, dessen Auto unter der Tuning-Last einem Joghurt-Becher nicht unähnlich ist.

„Ich persönlich glaube, dass die Lärmverbesserungen auch daher kommen, dass Ortskundige die betroffenen Abschnitte umgehen“, bestätigt Robert Eberl von der Polizei Friedrichshafen.

Diese Beobachtung teilt Christian Stenzel, der in Fischbach ein erhöhtes Verkehrsaufkommen in den Nebenstraßen registriert: „Das ist nur eine Feststellung und soll kein Aufschrei sein.“

Goran und seine Freunde brechen jetzt vom Parkplatz des Burger-Ladens auf und zeigen, dass man auch trotzt des Tempolimits noch recht flott unterwegs sein kann. Sie betreiben eine Art Blitzer-Hopping. Das geht so: Erst lenkt der Fahrer sein Auto gemächlich am Starenkasten vorbei – im zweiten Gang. Dann schaltet er abrupt in den Ersten runter und lässt bei reichlich Gas den Motor aufröhren. Goran zum Beispiel schafft es, vom Blitzer auf der Maybachstraße bis zum nächsten Blitzer in der Albrechtstraße auf etwa 80 Stundenkilometer zu beschleunigen, um dann heftig abzubremsen.

„Geschwindigkeitsübertretungen sind die Ausnahme“, sagt die Pressesprecherin der Stadt, Andrea Gärtner. Manche Menschen lesen die Schilder bei Tag nicht richtig. Und so kommt es, dass sich die Langsamkeit auch zwischen 6 und 22 Uhr auf den besagten Abschnitten ausbreitet – gerade bei Ortsunkundigen und zum Ärger der Einheimischen. „Aber damit kann man gut leben, wenn’s nachts dann leiser ist“, sagt Stenzel. Und dass es jetzt nicht zu ruhig wird, dafür sorgt schon Goran mit seinen Freunden.

(Erschienen: 02.06.2012 14:00)