Baden-Württemberg

Lieber Löcher als gar kein Spatenstich?

Diskussion um Geldverwendung im Straßenbau. Die grün-rote Landesregierung sieht sich mit ihrer neuen Priorisierung auf dem richtigem Weg, auf Bundesebene scheint das allerdings kaum zu interessieren.

Löcher im Asphalt, gesperrte Brücken, einspurige Autobahnen – der Sanierungsstau auf deutschen Straßen ist riesig, doch Geld ist knapp. Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg versuchte, diesem Notstand abzuhelfen durch eine Priorisierung, einerseits. Entlang bestimmter Kriterien wie Lärmbelastung oder Kostenaufwand wurde eine Reihung wichtiger und weniger wichtiger Baumaßnahmen erstellt. „Wir wagen das, wovor sich die alte Landesregierung immer gedrückt hat“, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Von einem „Paradigmenwechsel“ war die Rede, von „ehrlich machen“ auch in Bezug auf die realen Baukosten. Grün-Rot wolle weg von der „Spatenstichpolitik“ und hin zur planbaren Durchfinanzierung von Projekten. Wirtschaft und Kommunalverbände begrüßten das Umsteuern – im Prinzip. Der Koalitionspartner SPD machte knurrend mit. Nur die Opposition kritisierte mangelnde Ambitionen.

Die CDU spricht von „nutzlosen Listen“, die das Land nach Berlin schicke. Die Verkehrspolitiker Nicole Razavi (Land) und Steffen Bilger (Bund) zitieren aus einem Schreiben des Bundesverkehrsministeriums, in dem Staatssekretärin Dorothee Bär (CSU) die „für den Bund keinesfalls bindende Wirkung“ der Landes-Priorisierung betont. Die Einstufung der Projekte erfolge „ausschließlich auf Grundlage der Bewertungen und Priorisierungsstrategie des Bundes“. Kurz gesagt: Was das Land macht, ist uns egal.

Finger in der Wunde

Schon Ex-Minister Peter Ramsauer (CSU) machte deutlich, dass er sich um grün-rote Priorisierungen nicht schert. Nachfolger Alexander Dobrindt (CSU) scheint ähnlich gestrickt. Razavi fragt daher spitz, warum Minister Winfried Hermann (Grüne) unter Geld- und Zeitaufwand eine Liste erstelle, wenn sie weder bindend noch maßgeblich sei. Zuletzt ertönte der Vorwurf, Grün-Rot habe 100 Millionen für den Straßenbau nicht abgerufen. Auch hier gibt Bär Auskunft – allerdings Bundestagsabgeordneten der Grünen: „Vor dem Hintergrund der Vielzahl der (...) Maßnahmen und den z.T. erheblichen Kostensteigerungen im Bau befindlicher Bundesfernstraßen in Baden-Württemberg“ habe es schon 2012 „keine Spielräume für Neubeginne von Bedarfsplanmaßnahmen“ gegeben. Am Ende schrumpfte das Volumen auf maximal 15 Millionen – von weit mehr als 800. Die Bundesregierung spricht schwammig von „bedarfsgerechter Mittelumsetzung“.

Die genau gebe es nicht, sagt Baden-Württembergs Minister Hermann. Seit Amtsübernahme drängt er auf eine Neuausrichtung: Mehr Erhalt, weniger Neubau. Darauf einigte sich auch die „Bodewig-Kommission“, die den Sanierungsbedarf auf jährlich 7,2 Milliarden Euro bezifferte. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hatte 100 Euro pro Autofahrer für einen Sonderfonds Infrastruktur gefordert und damit eine Debatte über die Verwendung der Gelder – aber auch einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) findet, Albig habe den „Finger in die richtige Wunde gelegt“.

Erhalten statt Neubau

Der Sanierungsrückstand sei enorm. Doch auch Kretschmann ist nicht entgangen, dass solche Vorschläge kaum mehrheitsfähig sind. Mancher Experte meint, dies sei auch nicht nötig. Geld sei da, werde nur falsch eingesetzt.

„Statt in die Straßenerhaltung zu investieren, wird zu oft in Neubauten investiert“, sagt etwa der Vizepräsident des Rechnungshofs, Christian Ahrendt. Solche Zweckentfremdung führe logischerweise dazu, dass Geld für Instandhaltung und Sanierung fehle. 2010 bis 2012 seien bundesweit 878,8 Millionen Euro, die eigentlich für den Erhalt der Bundesfernstraßen vorgesehen waren, für andere Zwecke verwendet worden. Ob auch Baden-Württemberg dabei war, konnte das Ministerium bis Redaktionsschluss nicht beantworten. Man sei noch an der „Aufarbeitung“.

Hermann war vor seinem Ministeramt Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Sein Nachfolger Anton Hofreiter, heute Grünen-Fraktionschef, geht ebenfalls mit der gängigen Praxis hart ins Gericht: „Sanierung macht Politikern nur Ärger, aber Neubau ist schön“, sagte er, vor Ironie triefend. Das „politisch optimale Projekt ist eine Umgehungsstraße mit 398 Planungsschritten, die niemals fertig wird“. Da könne man jahrelang Erfolge feiern. Anwohner der B 31 oder der B 33, aber auch der A 98 können ein Lied von dieser „Methode Dauerfeier“ singen. Ginge es nach der Landesregierung, könnte etwa zwischen Allensbach und Reichenau weitergebaut werden – wenn der Bund der Stuttgarter Priorisierungsliste folgt.

„Wir gehen davon aus, dass es viele Übereinstimmungen gibt“, gibt sich Verkehrs-Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne) trotz des Bär-Briefs an die CDU-Opposition optimistisch. Der Bund habe schließlich immer erwartet, dass die Länder priorisierten. Hilfreich wäre, wenn Sanierungsmittel nicht mehr umgewidmet werden dürften. Danach sieht es nicht aus. „Wir machen das sehr konsequent“, sagt Gisela Splett im Bezug auf Landesstraßen. An der Ministeriumsspitze ist man überzeugt, dass die politische Vorgabe Sanierung vor Neubau auch bundesweit mehrheitsfähig ist.
 

Zwischen Straßenplan und Wirklichkeit

Plan: Der Bundesverkehrswegeplan wird für einen Zeitraum von 15 Jahren erstellt. Er gilt bundesweit und listet alle (tatsächlich und vermeintlich) wichtigen Vorhaben auf. Was in diesem Plan auftaucht, hat jedenfalls gute Chancen auf Umsetzung. Herr des Verfahrens ist das Bundesverkehrsministerium in den Händen der CSU.

Umleitung: Insgesamt 878,8 Millionen Euro, die für den Erhalt von Bundesstraßen und Autobahnen vorgesehen waren, wurden zwischen 2010 und 2012 anders verwendet – 13,2 Prozent des Erhaltungsbudgets. Knapp 550 Millionen Euro davon flossen in Um-, Neu- oder Ausbau von Straßen, etwa 213 Millionen in Betriebsausgaben, vom Rest wurden vorfinanzierte Strecken, sogar Fahrzeuge, Geräte und Gebäude gekauft. Der Kniff: Die Haushaltsposten für Sanierung und Neubau sind gegenseitig deckungsfähig. Das bedeutet, sie können auf Antrag eines Landes hin und her geschoben werden. Kein Ende in Sicht: Allein im ersten Halbjahr 2013 wurde acht Straßenbauverwaltungen gestattet, 175 Millionen Euro Erhaltungsmittel für Neubau einzusetzen.

Liste: Das Land Baden-Württemberg hat dem Bund für den Bundesverkehrswegeplan 2015 insgesamt 158 Autobahn- und Bundesstraßenprojekte gemeldet. Davon könnten innerhalb von 15 Jahren etwa 30 Prozent umgesetzt werden. Aber nur, wenn der Bund weiter wie bisher 230 Millionen Euro im Jahr investiert. Der geltende Finanzplan sieht aber vor, dass es jährlich nur noch 120 Millionen für Baden-Württemberg sein sollen. (gar)

 

 

Kommentar: Baden-Württemberg

Weniger Spaten

Oh, wie schön sind Spatenstiche! Gern zur Wahlkampfzeit, gern von Abgeordneten mit gutem Netzwerk.

Doch während die Spaten vor den Kameras geschwungen werden, bröseln die bestehenden Straßen und Brücken weiter. Man nennt es Sanierungsstau. Was angefangen wird zu bauen, entscheiden häufig kleine Zirkel mit kurzem Draht ins Bundesverkehrsministerium. Profilierung geht dann oft vor Notwendigkeit, Neubau vor kostspieliger Erhaltung. Man kann Verkehrsminister Winfried Hermann manches vorwerfen, kaum aber den Ehrgeiz, diese auf schnellen Applaus angelegte Spatenstichpolitik beenden zu wollen. Dass die Opposition die Priorisierungs-Listen des Landes als nutzlos kritisiert, nur weil sie in Berlin ignoriert werden, sind Relikte alten Denkens. Es stünde der Südwest-CDU gut zu Gesicht, sich ebenfalls für zweckgebundene Sanierungsgelder und transparent finanzierte Straßenbauprojekte stark zu machen statt für Methoden, wie sie einer Amigo-Republik frommen.