16.03.2016
Süden im Verkehrswegeplan wohlwollend bedacht
Stuttgart/Lindau sz Sehnsüchtig ist
der Bundesverkehrswegeplan in etlichen Rathäusern und Landratsämtern,
aber auch von Bürgern und Pendlern erwartet worden. Schließlich entscheidet der
Plan darüber, welche Bauprojekte bei Straße und Schiene in
den kommenden 15 Jahren eine Chance auf Realisierung haben. Das
baden-württembergische Verkehrsministerium hatte hierfür 158Projekte beim Bund
angemeldet, inklusive einer Priorisierung der Maßnahmen. Am Mittwoch hat
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nun
das Gesamtwerk für Deutschland vorgestellt. Der Südwesten scheint wohlwollend
bedacht worden zu sein.
Der Bundesverkehrswegeplan 2030 löst den bislang
letzten von 2003 ab. Nur diejenigen Projekte, die mit „vordringlichem Bedarf“
sowie mit „vordringlichem Bedarf Engpassbeseitigung“ gekennzeichnet sind,
werden in den kommenden 15Jahren gebaut, oder zumindest begonnen. Laut Plan
stellt der Bund für neue Straßenbauprojekte dieser beiden Kategorien im
Südwesten knapp 5,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Denn obgleich es sich
hierbei um Autobahnen und Bundesstraßen handelt, werden die Bauarbeiten von den
Regierungspräsidien des Landes geplant und umgesetzt.
„Wir können sehr zufrieden sein“
Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne)
reagierte erfreut, denn „fast alle gewünschten Straßenbauprojekte sind in den
vordringlichen Bedarf aufgenommen worden“. Profitieren wird auch die Region
zwischen Ostalb und Bodensee. Entlang der B 14 zwischen Rottweil und Tuttlingen
können sich etwa Spaichingen und Rietheim-Weilheim
auf Ortsumfahrungen freuen. Für die insgesamt 11,2 Kilometer sind 80,2
Millionen Euro eingeplant. Und auch die Ortsumfahrungen für Enzisreute
und Gaisbeuren entlang der B 30 (Kreis Ravensburg)
sind im vordringlichen Bedarf gelandet. 92,9Millionen Euro sind für die
9,2Kilometer eingeplant. Mit Blick auf eingeplante Maßnahmen wie eine
Querspange bei Tettnang und weitere Ortsumfahrungen in den Kreisen Biberach und
Ravensburg sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Gerster: „Wir können sehr
zufrieden sein im Bereich Bodensee-Allgäu-Oberschwaben.“
Ähnlich erfreut äußert sich Nicole Razavi,
verkehrspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Sie nennt den Plan „das
stärkste Investitionsprogramm für die Infrastruktur, das es je gab.“ Und sie
rechnet vor, dass mit 13,8 Prozent der Gesamtmittel Baden-Württemberg besser
bedacht worden sei, als es dem Land nach der üblichen paritätischen Verteilung
zustünde.
Es gibt auch Kritik
Doch es gibt auch Schattenseiten. Maßnahmen entlang
der B 311 zwischen Mengen und Engelwies haben es nur in den „weiteren Bedarf
Plus“ geschafft. Das heißt zwar, dass geplant werden darf. Eine große Chance
auf Baubeginn bis 2030 besteht aber nicht. Noch schlechtere Aussichten auf
schnelle Umsetzung haben Projekte, die im „weiteren Bedarf“ ohne Planungsrecht
gelandet sind – darunter auch die Ortsumfahrungen Ehingen und Boms bei Bad Saulgau.
Verkehrsminister Hermann äußert allerdings auch
Kritik: Es gebe keine eindeutige Priorisierung der Projekte. Das bemängelt er
vor allem deshalb, weil die Straßenliste deutlich größer sei als die zugesagten
Finanzmittel. Und: „Wir vermissen eine Reihe von Schienenprojekten“, so Hermann
weiter. Erfreulich für die Region ist hingegen das klare Bekenntnis zur Südbahn. Laut Bundesverkehrswegeplan soll die
Elektrifizierung noch 2016 beginnen.
Licht und Schatten
Ab Montag können sich alle Interessierten zum
Verkehrswegeplan im Internet zu Wort melden. Die Bürgerbeteiligung läuft bis
zum 2.Mai. Das Verkehrsministerium plant zudem öffentliche Veranstaltungen in
Stuttgart und Freiburg.
Auch für den östlichen Bodenseeraum und das Allgäu
bringt der Bundesverkehrswegeplan Licht und Schatten. So frohlockt der
Vertreter des bayerischen Allgäus im Bundestag, Entwicklungshilfeminister Gerd
Müller (CSU), über die Aufnahme des B-12-Ausbaus bei Kaufbeuren in den
vordringlichen Bedarf. Vordringlich ist aber nur der Abschnitt
Kaufbeuren-Buchloe. Die andere Projekthälfte, die Strecke Kaufbeuren-Kempten,
bleibt im weiteren Bedarf stecken. Ebenso sieht es bei der Unfallstrecke auf
der B31 von Lindau durchs Bodenseehinterland bis zur baden-württembergischen
Grenze aus. Der anschließende Abschnitt Richtung Friedrichshafen, eine
Staustrecke, erscheint nicht einmal im Bundesverkehrswegeplan. Bei der
überlasteten A7 zwischen Memmingen und Neu-Ulm ist eine Streckenhälfte ebenso
im weiteren Bedarf stecken geblieben. Nur ein Teilabschnitt wurde als dringlich
eingestuft.
Wenigstens scheint bei der Elektrifizierung der
Eisenbahnstrecke München-Memmingen-Lindau alles klar zu sein. Der Bund
betrachte sie als gesetzt, freut sich Bayerns Innen- und Verkehrsminister
Joachim Herrmann (CSU).
Verkehrswegeplan: Das Gefeilsche geht weiter
Von Ulrich Mendelin
Kommentar sz Der Minister hat
sich Zeit gelassen. Mit einer Verspätung von mehreren Monaten hat Alexander Dobrindt den Bundesverkehrswegeplan vorgestellt. Jetzt ist
klar, welche Bauvorhaben bis 2030 eine Chance haben, realisiert zu werden – und
welche nicht. Bei Projekten die nicht als „vordringlicher Bedarf“ eingestuft
sind, besteht wenig Hoffnung, dass in den nächsten eineinhalb Jahrzehnten etwas
passiert.
Nachdem in der jüngeren Vergangenheit auch dünn
besiedelte ostdeutsche Landstriche mit beeindruckend breiten und leeren
Autobahntrassen versorgt wurden, wird nun verstärkt im wirtschaftlich starken
Süden gebaut. Das ist auch nötig: Gerade in Oberschwaben und am Bodensee hinkt
die Leistungsfähigkeit des Straßen- und Schienennetzes der Wirtschaftskraft
immer noch hinterher. Mit Projekten wie dem Ausbau der B31 und der B30 sowie
der Elektrifizierung der Südbahn werden nach und nach
Lücken geschlossen.
Allerdings müssen noch manche dicken Bretter gebohrt
werden. Denn das Bereitstellen von Geld allein bringt noch keine Straße, teils
ist der geplante Verlauf der Trassen höchst umstritten. Das gilt zum Beispiel
für die B29 auf der Ostalb: Dort hat das Land zwischen Aalen und Nördlingen
zwei kleinere Ortsumfahrungen für den Verkehrswegeplan angemeldet, der Bund ist
– auf Wunsch aus der Region – darüber hinweggegangen und setzt nun auf einen
Neubau gleich an vier Dörfern vorbei. Das Beispiel zeigt, welche
Auseinandersetzungen sich im weiteren Verlauf der Planungen noch entwickeln
können.
Dobrindt legt Wert auf die
Feststellung, dass die Einstufung der Verkehrsprojekte einer nüchternen
Kosten-Nutzen-Rechnung folgt. Dieser Ansatz ist verdienstvoll – aber damit ist
noch nicht das letzte Wort gesprochen. Spätestens, wenn es nach der
Anhörungsphase darum geht, dass der Plan vom Kabinett beschlossen und
anschließend in entsprechende Ausbaugesetze umgesetzt wird, werden
Interessenvertreter der Regionen versuchen, ihre Projekte doch noch
durchzubringen. Das Gefeilsche geht also weiter.