„In der Kritik zu stehen macht
mir wenig aus“
Ein Jahr nach
dem Regierungswechsel in Stuttgart: Der grüne Landtagsabgeordnete Martin Hahn
blickt zurück
Martin Hahn ist
der erste grüne Kandidat, der im Wahlkreis 67 Bodensee den Sprung in den
Landtag geschafft hat. Im Gespräch mit den SZ-Redakteuren Martin Hennings, Ralf
Schäfer und Gunnar M. Flotow blickt der 48-Jährige auf jenen 27. März 2011
zurück, an dem Baden-Württemberg von einem politischen Erdbeben erschüttert
wurde – und er verrät auch, dass die Arbeit in Landtag und Landwirtschaft
zuweilen Parallelen hat.
SZ: Herr Hahn,
wie war für Sie der 27. März 2011?
Martin Hahn:
Die zentrale Frage war damals für uns: Packen wir die SPD und werden wir zweitstärkste
Kraft, damit wir den Ministerpräsident stellen können? Ab 16 Uhr gab es gewisse
Vorabinformationen, die zumindest in dieser Frage eine gewisse Entlastung
brachten. Dann gab es noch meine persönliche Situation, die ja bis zum Schluss
unsicher war. Bis gegen 21 Uhr war ich ziemlich angespannt, dann erreichten
mich die ersten SMS aus dem Regierungspräsidium, dass ich ziemlich gut im
Rennen liege und nicht mehr viele vor mir sind.
SZ: In Teilen
des bürgerlichen Lagers werden Fukushima und die Medien für das Ergebnis der
Landtagswahl verantwortlich gemacht. Wie sehen Sie‘s?
Hahn: Ich würde
sagen, sowohl Fukushima als auch Stuttgart 21 waren nur Symptome – Symptome
einer Art, Politik zu machen, die abgestraft wurde.
SZ: Glauben
Sie, dass es ohne Fukushima auch einen Regierungswechsel gegeben hätte?
Hahn: Das wäre
Kaffeesatzleserei. Die Grundstimmung für einen Regierungswechsel war auf jeden
Fall schon vor Fukushima da.
SZ: Wie würden
Sie denn die Politik der abgewählten Landesregierung beschreiben?
Hahn: Der
konservative Grundansatz, den ich übrigens durchaus teile, war für mich nicht
mehr erkennbar bei der CDU. Ich hatte Gelegenheit, den ehemaligen
Ministerpräsidenten Stefan Mappus bei einer
Veranstaltung im Bodenseekreis kennenzulernen. Mein Eindruck: Der interessiert
sich für nichts anderes als die Macht. Kommunikation mit den Menschen an der
Basis, was einmal die Stärke der CDU gewesen war, war nicht mehr angesagt.
Diese Haltung hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass das System nicht mehr
haltbar war.
SZ: Seit einem
Jahr sind Sie nun Berufspolitiker. Ist der Job so, wie sie ihn sich vorgestellt
haben?
Hahn: Früher,
in meinem alten Beruf als Landwirt, bin ich mit meinem Traktor über den Acker
gefahren, habe eingesät und mir gedacht: wunderbar, mein Acker – alles tiptop. In der Politik kommen dagegen die Punkte, wo die
Arbeit konkrete Erfolge zeigt, meistens zu einem unbestimmten Zeitpunkt. Was
mir auch auffällt: Es gibt keinen Rhythmus. Einen eigenen Rhythmus zu
gestalten, den ich persönlich wirklich brauche, ist in der Abgeordnetenaufgabe
schon eine große Herausforderung.
SZ: Was den
Rhythmus angeht, könnten der Beruf des Landwirts und ein Landtagsmandat kaum
weiter auseinanderliegen.
Hahn: Das
stimmt. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten: Ab und zu kommt nämlich ein großer
Hagel und deine Arbeit ist zunichte gemacht.
SZ: Hat Sie das
Landtagsmandat verändert?
Hahn: Ich denke
nicht, denn es gibt einiges, was mich ziemlich erdet: Erstens mein Hof,
zweitens die Nähe zur Familie und drittens die Liebe zur Natur.
SZ: Wie gehen
Sie damit um, dass Sie nun stärker in der Öffentlichkeit stehen und auch härter
angegangen werden?
Hahn: In der
Kritik zu stehen macht mir wenig aus. Die Auseinandersetzung wegen der
Straßenbauprojekte beispielsweise habe ich nicht als unangenehm empfunden.
SZ: Was ist im
vergangenen Jahr gut gelaufen?
Hahn:
Richtungsweisend und mutig fand ich den Schritt, die Grunderwerbssteuer zu
erhöhen und dieses Geld an die Kommunen auszuschütten, damit die für eine
bessere Kinderbetreuung sorgen. Ich glaube, dass die Polizeireform ebenfalls
ein gelungener Wurf wird. Ich bin auch froh über den Volksentscheid zu
Stuttgart 21, wenngleich mir das Ergebnis nicht gefallen hat. Dieser Schritt
hat aber zur Befriedung beigetragen. Was ich noch gut finde: Dass unser
Ministerpräsident von allen so gemocht wird. Das bestärkt auch mich in meiner
Arbeit.
SZ: Und was ist
denn nicht so gut gelaufen?
Hahn: Regieren
muss man auch erst lernen, wir wussten ja nicht, wie dieser ganze Apparat
überhaupt funktioniert. Als verbesserungswürdig erachte ich das Doppelpassspiel
zwischen Regierung und Fraktion.
SZ: Wie hat denn der Bodenseekreis bislang konkret von
Ihrer Arbeit profitiert?
Hahn: Es ist sicher schwierig, einen Erfolg ganz allein
für sich in Anspruch zu nehmen. Ich glaube, dass der Bodenseekreis zum Beispiel
von meiner klaren Positionierung beim Thema Verkehr profitiert.
SZ: Es gibt Leute die sagen „Jetzt machen die Grünen
genau das, was sie schon immer machen wollten: nämlich keine Straßen bauen“.
Ist das so?
Hahn: Nein. Unser Ziel ist es, den Verkehr mit den
wenigen finanziellen Mitteln, die da sind, optimal zum Fließen zu bringen.
SZ: Wir würden Sie gerne mit einem Zitat konfrontieren.
„Wir müssen neue Wege bei der Sanierung und beim Neu- und Ausbau der
Landesstraßen gehen. Bei einer zukunftsgerichteten Straßenbaupolitik darf es
keine Denkverbote geben.“ Wissen Sie, von wem es stammt?
Hahn: Verkehrsminister Winfried Hermann?
SZ: Fast. Von Winfried Kretschmann. Dies sagte der
Ministerpräsident nach dem sogenannten „Straßenbaugipfel“ am 13. März. Uns
scheint es aber so, als wenn die Landesregierung gar nicht daran denkt, eine
private Zwischenfinanzierung der B 31-neu zu unterstützen.
Hahn: Von einer privaten Zwischenfinanzierung ist im
politischen Raum überhaupt niemand begeistert. Die Frage ist doch, ob es in
Deutschland möglich ist, politische Entscheidung kaufen zu können. Erst ab dem
Moment, wo eine Reihenfolge der Straßenbauprojekte festgelegt ist, könnte man
auch über eine private Vor- oder Zwischenfinanzierung nachdenken.
SZ: Und bis wann steht die Reihenfolge fest?
Hahn: Ich rechne mit den ersten Ergebnissen noch vor der
Sommerpause. Im Gegensatz zur CDU können wir übrigens diese Priorisierung
machen, weil wir nicht überall Straßen versprochen haben.
SZ: Zurzeit
wandern Bildmontagen durch die Medien, die zeigen den Höchsten oder den Gehrenberg mit 200 Meter hohen Windrädern. Ist das ein
Anblick, mit dem Sie sich anfreunden können?
Hahn: Diese
Maschinen haben einen entscheidenden Vorteil: Wenn wir sie vielleicht in 25
Jahren nicht mehr brauchen, können sie einfach abgebaut werden – außer einem
Betonsockel bleibt nichts übrig. Ich denke, das halten wir aus. Ich finde, wir
könnten auch noch etwas stärker die Solartechnologie forcieren.
SZ: Kommen wir
zum Thema Gemeinschaftsschule. Unsere Wahrnehmung ist, dass es zumindest in
Friedrichshafen eine große Zurückhaltung gibt. Macht Sie das nachdenklich?
Hahn: Ich fand
unsere Herangehensweise an dieses Thema vorbildlich, weil wir die
Gemeinschaftsschule nicht per ordre de mufti
einführen, sondern 30 Starterschulen die Chance geben, dieses pädagogische
Prinzip umzusetzen. Jetzt kommen diejenigen zum Zug, die wirklich eine
Gemeinschaftsschule wollen und dafür kämpfen – so muss das sein.
SZ: Wie ist
denn eigentlich Ihr persönliches Verhältnis zu Ihrem CDU-Kollegen Ulrich
Müller?
Hahn: Die
persönliche Schnittmenge ist nicht so groß, als dass wir abends in Stuttgart
einen trinken gehen würden. Ich schätze seine Arbeit, doch unsere Positionen
liegen sehr weit auseinander – und das wird auch so bleiben.
(Erschienen:
27.03.2012 08:00)