Aufatmen: Jetzt läuft der Verkehr durch den Tunnel

Viel Politik-Prominenz kam zur aufwändigen Eröffnung des Jahrhundertbauwerks in Tuttlingen und Neuhausen

 

Tuttlingen Mehr als 20 Jahre hatte das Schild angeklagt, gemahnt, protestiert: Seit Mittwochnachmittag ist es weg. Am Tag vor der Tunneleinweihung hatte Professor Erich Weber aus der Schützenstraße das Schild mit der Aufschrift „Den Letzten beissen die Hunde – Tuttlingen“ abgebaut.

Denn eines der langwierigsten, schwierigsten und teuersten Bauprojekte in der Stadtgeschichte ist mit der Einweihung und Verkehrsfreigabe von Kreuzstraßentunnel und Ortsumgehung Neuhausen ob Eck abgeschlossen.

Die Einweihungsfeier fiel dem Anlass entsprechend pompös aus. Die bevorstehende Landtagswahl war ein Grund mehr, die seit Jahrzehnten herbeigesehnte Verkehrsentlastung mit viel Prominenz zu feiern. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sprach von den Lebensadern, die Straßen für die Wirtschaft bedeuteten und von den „furchtbaren Belastungen“, die Tuttlingen und Neuhausen zuletzt ertragen hätten. 850 Projekte umfasse die bundesweite Wunschliste für Ortsumfahrungen. „Aber dafür brauche ich mehr Kohle“, sagte der Minister. Die „geistige Einheit“ und „Freundschaft“ mit Volker Kauder, die Ramsauer unterstrich, hielt den CDU/CSU-Bundestagsfraktionschef allerdings nicht davon ab, bei der Forderung des Verkehrsministers scherzhaft die Ohren zuzuhalten.

Ramsauer ging auf Lärmschutz-Forderungen von Bürgern im Wendelsgrund ein und machte sich – ziemlich populistisch – über das Regierungspräsidium lustig. Bei dem Verweis auf die gesetzlichen Grundlagen, die keinen Lärmschutz rechtfertigten, habe das RP „formal vielleicht recht“. Ihm aber „stellen sich die Zehennägel auf“ bei dieser formalen Betrachtung. Ramsauer kündigte an, die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg werde prüfen, ob die Grenzwerte im Wendelsgrund nicht vielleicht doch überschritten werden.

Bürger im Wendelsgrund hoffen

OB Michael Beck interpretierte diese Ankündigung nicht nur als „fast eine Zusage“, sondern will „den Menschen nun Hoffnung machen“ auf den nachträglichen Bau eines Lärmschutzes. Finden sich in Ramsauers Äußerungen Hinweise darauf, warum Regierungspräsident Julian Würtenberger wegen anderer Termine nicht zur Einweihung des größten Bauprojekts im Regierungspräsidium Freiburg gekommen war? „Da ist nichts dran“, weist Würtenbergers Sprecher diese Vermutung zurück. Es sei auch bei anderen Terminen mit Ministerbeteiligung üblich, dass der RP nicht auftrete.

Als übergeordnete Politikerin erinnerte Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner daran, dass Großprojekte mit langem Atem geplant werden müssten. Der Bau einer Autobahn zwischen den Regionen Freiburg und Ulm habe vor 40 Jahren im Raum gestanden, sei damals aber nicht verwirklicht worden. Mit dem Verweis, sie wolle in 30 Jahren nicht sagen, „hätten wir damals nur“, zog Gönner eine Parallele zum Großprojekt Stuttgart 21. An dieses Streitthema erinnerten bei der Tunneleinweihung auch Stuttgart-21-Gegner, die mit Transparenten und einer Aktionsgruppe am Rand des Festakts demonstrierten. Gönner nutzte Ramsauers Anwesenheit, um auf weitere, dringende Bauprojekte im Land hinzuweisen. „Wir müssen unsere Verkehrsinfrastruktur weiter sinnvoll ausbauen. Wenn es Baden-Württemberg gut geht, geht es Deutschland gut“, sagte die Ministerin zur Begründung. Vertreter von überfälligen Straßenbauprojekten unter anderem aus Friedrichshafen und Überlingen waren gestern nach Tuttlingen gekommen.

Auch sie dürften sich angesprochen fühlen von der Äußerung OB Becks, der Tunnel sei nicht „versehentlich“ gebaut worden. „Da wäre nichts entstanden, wenn sich nicht ganz konkret jemand darum gekümmert hätte“, sagte Beck und brach damit eine Lanze für das – nicht selten als unzureichend kritisierte - Engagement von Politikern. Der Tunneleröffnung misst Beck eine grundsätzliche Bedeutung zu: „Wir haben nun die Chance, die Stadtentwicklung voranzutreiben.“

Die Nationalhymne, gespielt vom Städtischen Blasorchester unter Leitung von Klaus Steckeler, war der angemessene Abschluss der Feier. Zuvor hatten Vertreter von Politik und Verwaltung mit vergoldeten Scheren das schwarz-rot-goldene Band durchschnitten. In einem modernen Hybrid-Bus, den der Hersteller in einem Tieflader eigens für den Festakt von Mannheim nach Tuttlingen geschafft hatte, fuhren die Ehrengäste durch den Tunnel und über die B 14 zum Beginn der B 311 neu. Hier durchschnitten sie ein weiteres Band und gaben den zweiten Teil des Projekts für den Verkehr frei. Das Schild, das Erich Weber nach gut 20 Jahren diese Woche abgebaut hat, wandert übrigens nicht in den Kamin. Lärmgeplagte Bürger aus Immendingen-Zimmern haben Weber gebeten, die Tafel im Kampf für den Bau ihrer Ortsumgehung einsetzen zu können.

(Erschienen: 18.02.2011 09:55)