Lesermeinung

Noch mehr Schwerverkehr

Zur Verkehrssituation im Bodenseekreis und unserer Berichterstattung zum Thema B 31-Proteste:Seit ca. 75 Jahren wird für die Bodenseeregion eine durchgehende West-Ost-Fernstraße propagiert – seit den 70-er Jahren massiv als Bodensee-Autobahn A 98, dann auf deren Trasse als vierspurige und später als zweispurige Bundesstraße und jetzt zum Teil auf der Autobahntrasse als übriggebliebener Torso die „Hinterland-Trasse aus verknüpften Ortsumfahrungen“, der aktuell aus Landesmitteln am übergeordneten Bundesverkehrswegeplan vorbeigeplant wird. Letztere Straße würde die Engstelle Bodenseeregion für den Kfz-Verkehr weiter öffnen und auf der B 31 würde sich die Verkehrszusammensetzung stärker zum Schwerverkehr-Transit verschieben – schlimm für hiesige Bürger, Touristen und Landschaft. Warum fordert die regionale Straßenbaulobby unverdrossen weiteren Straßenneubau?

Diese Gruppierung hat in der Vergangenheit den Bodenseeraum mit überflüssigem, unausgewogenem Straßenbau überzogen und es zugelassen und gefördert, dass das hiesige öffentliche Gut „Eisenbahn-Netz“ ausgedünnt und stillgelegt wurde (z.B. Pfullendorf und bei Krauchenwies) und jetzt zum Teil verkommen ist.

Jeder kann es selbst an seinem Bahnhof mit dessen Personen- und fehlender Fracht-Infrastruktur begutachten.

Wenn jetzt noch in Stuttgart das Projekt S 21 plus mit der Neubaustrecke nach Ulm und die Rheintalstrecke die Mittel für Jahrzehnte binden, bleibt wieder nichts für den ÖPNV dieser Region übrig und die vielen einzeln fahrenden Pkw-Pendler füllen unsere Straßen wie bisher.

Ein ganz kleiner Anteil der Stuttgarter Projektkosten in Milliardenhöhe würde laut Umwelt-Bundesamt äußerst segensreich in der Fläche wirken.

Dazu gehört neben der Strecke Ulm-Lindau unbedingt auch die Elektrifizierung von Friedrichshafen nach Singen und eine grenzübergreifende Bodensee-S-Bahn von Bludenz bis Engen im Verkehrsverbund mit einer verbesserten Busvernetzung ins Hinterland – wie mustergültig organisiert und mit hohen Wachstumsraten unter unseren Augen in Vorarlberg.

Für ca. drei Prozent der S 21-Milliarden könnte diese Bodensee-S-Bahn starten. Ein leistungsfähigerer Ausbau der am See entlangführenden B 31 (die Europastraße E 54) als durchgehende Fernstraße entlastet weder die Uferorte noch die Region von dem dann exponentiell zunehmenden, bisher noch mautfreien Transit-Schwerlastverkehr. Seit 2003 stagniert entgegen allen Prognosen auf der B 31 der Regionalverkehr. Ab 2004 hat mit der Osterweiterung der EU nur der Schwerlast-Transit sprunghaft um 40 Prozent zugenommen – zur Zeit sind es schon mindestens 400 ausländische Schwerlast-Lkw pro Tag (Hanke, Messstelle Harlachen bei Hagnau . Noch im Dezember 2007 wurde dem Bodenseekreis unter anderem wegen der gleichrangigen Entwicklung von Gewerbe, Landwirtschaft und Tourismus der erste Bundespreis „Landschaft 2008“ der Deutschen Stiftung Kulturlandschaft verliehen! Seit Ende 2008 liegt der Bodenseekreis im Prosperitäts-Ranking aller Landkreise in Deutschland vorn – trotz der angeblich katastrophalen Straßensituation! Katastrophal ist hier nur der ÖPNV und die Einstellung der Verwaltungen dazu.

Fakt ist, dass wir hier nach den BW-Großstadtbereichen das dichteste Straßennetz haben.

Fakt ist auch, dass Gewerbe und Industrie mit der A 98 bei Lindau, der B 30 neu bei Ravensburg und der B 33 neu bei Überlingen inzwischen sehr gut an das überregionale Straßennetz angebunden sind.

Weitere Arrondierungen um und in Richtung Friedrichshafen sind baureif. Noch mehr Straßen-Neubau verringert die Fahrzeiten nur um Minuten; aber um welchen Preis zulasten der Landschaft?

Aber einen Trost haben wir. Die Neubau-Prioritäten im Straßenbau werden schon in Tübingen und Stuttgart ganz ganz anders gesehen: Die Route Freiburg-Engen-Tuttlingen-Meßkirch-Riedlingen-Ulm/Memmingen (B31-B311/312 ) wird massiv und forciert – zum Teil drei- und vierspurig – ausgebaut. Man denke an den B 31-Ausbau im Höllental, die Talbrücke und die zwei fertigen Tunnelröhren bei Döggingen, den 900 Meter langen Stadttunnel in Tuttlingen im Bau und die Umfahrung Erbach mit Anbindung an die B 30 vor Ulm.

Das ist die Entlastung für den Bodenseeraum. Da wird der wirkliche West-Ost-Transit-Korridor entwickelt, wie ihn das Regierungspräsidium Tübingen schon 1992 als Ziel mit einer Studie von Bender & Stahl im Auftrag der vier hiesigen Regionalverbände vorgestellt hat.

Es wird interessant zuzusehen, wie sich ohne Zusagen die CDU-FDP-Wahlkämpfer von der Bundesebene argumentativ aus der oben beschriebenen Affäre ziehen. Vom FDP-Mann Döring konnte man es ja schon in dieser Zeitung lesen.

Bob Jürgensmeyer, Vereinigte Verkehrsinitiativen im Bodenseekreis, Bermatingen