FRIEDRICHSHAFEN (vedo) Wie steht
eigentlich der Gemeinderat zu Bürgerinitiativen? Wir haben uns beim
Stadtoberhaupt und einigen Fraktionen umgehört.
Oberbürgermeister Josef Büchelmeier hält
Bürgerinitiativen für "einen wichtigen Bestandteil der politischen
Partizipation". Sie würden für einen strukturierten Dialog zwischen
Bürgern und Politik sorgen und somit eine sinnvolle Form der Bürgerbeteiligung
darstellen. Eine Begrenzung liege darin, dass sie nicht verantwortlich zu
entscheiden haben. "Die Verantwortung liegt im Endeffekt bei den
Gemeinderäten", sagt Büchelmeier. Schließlich seien es die Gremien, die am
Ende mit Mehrheit entscheiden. Diese müssten verschiedene Interessen abwägen.
Darüber hinaus verfüge der Rat und die Verwaltung über ein verstärktes und
vertieftes Fachwissen.
Es sei immer das Problem, wie und woher sich
Bürgerinitiativen ihre Informationen beschaffen. Oft würden die notwendigen
Hindergründe fehlen. "Ich bewundere jedoch diejenigen Bürger, die sich
richtig in Themen einarbeiten", bescheinigt der OB. Politik werde durch
Bürgerinitiativen interessanter. "Mein politisches Credo ist, dass Politik
gelebt werden muss. Und dem entsprechen auch die Bürgerinitiativen."
(Stand: 24.05.2005 00:18)
Man muss Verständnis für Bürgerinitiativen
haben. Bei Verärgerung über die Politik und Politikverdrossenheit müssen wir
schließlich dankbar sein, wenn sich Menschen politisch engagieren.
Bürgerinitiativen müssen allerdings auch kritisch betrachtet werden. Oftmals
sind Bürgerinitiativen einseitig geprägt. Der Gemeinderat hingegen muss Dinge
vielschichtiger sehen und kann sich auch nicht das Heft aus der Hand nehmen
lassen. Man muss unbefangen auf Bürgerinitiativen zugehen, darf aber auch nicht
einknicken. Es ist eine Gradwanderung.}
H. Kaldenbach
Bürgerinitiativen sind ein notwendiger
Bestandteil der Bürgerbeteiligung. Sie stellen eine einmalige Chance für den
Bürger dar, sich Gehör zu verschaffen. Leider ist ihr Einfluss auf die
Kommunalpolitik sehr gering. Bürgerinitiativen haben meist keine politischen,
sondern praktische und zum Teil pragmatische Ziele. Die Interessen werden dabei
häufig von Lokalparlamenten ignoriert. Politik wird durch Bürgerinitiativen
nicht schwieriger. Vielmehr geht die Politik weitgehend unbeeindruckt
formalistisch, meist parteiorientiert über die Interessen von Bürgerinitiativen
hinweg.}
J. Wiesener
Ich halte den Einfluss von Bürgerinitiativen
für mittelgroß. Für einige bestimmte Projekte, wie etwa dem Thermalbad sogar
für sehr groß. Es hängt im Wesentlichen vom Umfang und der Qualität des
bürgerschaftlichen Engagements ab. Sie sind ein notwendiger Bestandteil der
Bürgerbeteiligung, allerdings muss sich diese Beteiligung auf wesentliche
Gemeindeentscheidungen beziehen. Politik wird dadurch sicher schwieriger, aber
auch bereichert. Außer im Fall des Thermalbades kann hier nicht konstatiert
werden, dass Politik am Menschen vorbeiregiert.}
R. Frank
(Stand:
24.05.2005 00:18)
Weil Politik Sache aller Bürger ist, sollten
sie sich dafür interessieren und sich einbringen. Verantwortungsvolle Politik
muss sich aber unter Abwägung der Sachargumente einer Bürgerinitiative am
Interesse aller Bürger orientieren. Wenn die Bürgerinitiative das nicht
akzeptiert, und vor allem ihr eigenes Interesse und nicht das der Allgemeinheit
gelten lässt, wird es für die Stadt problematisch. Solange Bürgerinitiativen
sachbezogen arbeiten, machen sie Politik nicht schwieriger. Ich wünsche mir
mehr Beteiligung an unserer gemeinsamen Sache, der Politik für FN.}
J. Brugger
(Stand: 24.05.2005 00:18)
SZ: Gibt es verlässliche Daten über die
Anzahl der Menschen, die sich in Bürgerinitiativen engagieren?
Gabriel: Diese Zahlen können wir durch eine
Studie, die in Zusammenarbeit mit der Konrad-Ade-nauer-Stiftung erstellt wurde,
abschätzen. Sie sind über die Zeit auch recht stabil geblieben. In
Westdeutschland beteiligen sich 9 Prozent, in Ostdeutschland 6 Prozent der
Bevölkerung in Bürgerinitiativen. Die Bereitschaft, sich an Bürgerinitiativen
zu beteiligen liegt in Westdeutschland bei 23 und in Ostdeutschland bei 25
Prozent. Damit ist die Bereitschaft zur Beteiligung deutlich höher als bei
Parteien.
SZ: Wie würden Sie den Einfluss von
Bürgerinitiativen auf die Kommunalpolitik beurteilen?
Gabriel: Sie haben einen relativ großen
Einfluss. Vor allem ab 1990. Seitdem gibt es Bürgerbegehren und
Bürgerentscheide, die typische Instrumente sind, mit deren Hilfe
Bürgerinitiativen versuchen, ihre Ziele zu erreichen. Vergleicht man die
heutige Literatur mit der aus den 70er Jahren, merkt man, dass
Bürgerinitiativen mittlerweile als politische Kräfte angesehen werden.
SZ: Wird Politik durch Bürgerinitiativen
schwieriger?
Gabriel: Politisches Handeln ist in einer
pluralistischen Gesellschaft immer schwierig. Bürgerinitiativen aber machen den
politischen Prozess im positiven Sinn unbequem. Dies ist eine vorteilhafte
Funktion in der Demokratie, indem sie Verwaltungen dazu zwingen, sich
öffentlich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen.
SZ: Wie reagieren kommunale
Entscheidungsträger auf Bürgerinitiativen?
Gabriel: Man findet hier eine
unterschiedliche Haltung vor. Früher wurde oft das Argument verwendet,
Bürgerinitiativen würden die repräsentative Demokratie untergraben. Dies ist
allerdings so nicht richtig. Mittlerweile werden die Bürgerinitiativen als Teil
der Zivilgesellschaft akzeptiert. Sie werden als Kräfte angesehen, welche die
Demokratie lebendiger machen. Es hat hier einen sehr deutlichen
Bedeutungswandel gegeben. Ich halte Bürgerinitiativen in der Regel für
belebende Elemente einer Demokratie.}
O. W. Gabriel
Bürgerinitiativen gehören zu unserem
politischen System dazu. Es mag manchmal unbequem und auch unschön sein, wenn
dadurch Prozesse in die Länge gezogen werden. Aber schließlich stehen den
Bürgern Rechte wie die Meinungsfreiheit und die Rechtsstaatlichkeit
verfassungsmäßig zu. Bürger dürfen über Bürgerinitiativen ebenso versuchen,
ihre eigenen Interressen zu verfolgen, wie dies anderen Gruppen tun. Sicherlich
wird auf höheren Ebenen bisweilen auch basisferne Politik gemacht. Kommunal
sehe ich dieses Problem aber nicht so sehr.}
G. Lamparsky
Wir haben grundsätzlich eine positive
Einstellung gegenüber Bürgerinitiativen und treten für eine stärkere
Bürgerbeteiligung ein. Natürlich wird Politik schwieriger, je mehr Elemente
hinzugeführt werden. Das ist aber gut so. Nicht der Weg des geringsten
Widerstandes ist der Erfolgreiche. Die Grenzen liegen bei mangelnder Akzeptanz
und Einbeziehung durch die politischen Machthaber. Andererseits aber auch da,
wo die sachliche Auseinandersetzung endet. Es ist ein Geschenk, dass
Bürgerinitiativen Themen aufbereiten. Das zeugt von lebendiger Demokratie.}
T.Henne
FRIEDRICHSHAFEN (sz) Ob Thermalbad
Fischbach, Ortsumfahrung Kluftern oder Sendemast in St. Georgen: Die Bürger in
Friedrichshafen scheinen immer diskussionsfreudiger und damit für die
Kommunalpolitik unbequemer zu werden. Gerade die bürgerschaftlichen
Zusammenschlüsse der jüngeren Vergangenheit haben eine nie erwartete Resonanz
in der Bevölkerung hervorgerufen. Auf einer Sonderseite "Bürgerinitiativen
in Friedrichshafen" befasst sich SZ-Mitarbeiter Dominik Veit mit dem
Phänomen, das auch in Friedrichshafen schon auf Tradition bauen kann. Die
älteste Häfler Bürgerinitiative stammt aus dem Jahr 1972. Um die damals nach
einem Flugzeugabsturz gegründete BI "Schutz vor Lärm" ist es
allerdings nie ruhig geworden. Wie aus einer Umfrage hervorgeht, bewerten die
Spitzen der hiesigen Parteien das bürgerschaftliche Engagement durch die Bank
positiv. Ohne es würde geradezu etwas fehlen, heißt es.
FRIEDRICHSHAFEN (vedo) Auf dem Weg, ihre
Interessen durchzusetzen, sehen sich Bürgerinitiativen oftmals allein auf
weiter Flur. In diese Bresche springt Wulf Hahn mit seinem Planungsbüro Regio
Consult. Die Marburger Firma berät auch in der Bodenseeregion. Etwa im Fall
B31-Neu in Nußdorf.
Bundesweit zehn Autobahnen, der Transrapid
in München und der Frankfurter Flughafen. Das sind nur einige der
Betätigungsfelder der Firma Regio Consult. Seit zehn Jahren ist sie im Bereich
Stadt-, Verkehrs- und Umweltplanung tätig. Ein Ziel ist es, Bürgerinitiativen
bei der Durchsetzung ihrer Vorhaben zur Hand zu gehen. Regio Consult wird immer
dort aktiv, wo es sensibel und planerisch eng wird. "Dann gleichen wir
Daten ab, prüfen Verkehrsmodelle und erstellen auch
Umweltverträglichkeitsstudien", erklärt Geograph und geschäftsführender
Gesellschafter, Wulf Hahn. "
Wir helfen den Bürgerinitiativen aus
fachlicher Sicht, so dass sie ihre Interessen möglichst gut in den politischen
Prozess mit einbringen können." Hahn sieht vor allem dort Handlungsbedarf,
wo sich direkte Betroffenheit ankündigt. "Denn immer wenn Menschen selbst
betroffen sind, kann eine grundsätzliche Zustimmung schnell auch in eine
Ablehnung münden. Wenn die Kommunalpolitik bei ihren Planungen nicht im Vorfeld
bereits Interessen aufeinander abstimmt und Meinungen einbindet, dann sorgt
dies dafür, dass es knallt und Bürger auf die Barrikaden gehen", erklärt
Wulf Hahn. Der Gesellschafter kritisiert, dass es Stadtverwaltungen oft
ausnutzen würden, wenn sie merken, dass ihr Gegenüber das Fachliche nicht ganz
durchdringt. Nicht selten würde versucht werden, mit einem niedrigeren Standart
durchzukommen. "Wir stellen oft fest", sagt Hahn, "dass
Planungen nicht dem entsprechen, was das Gesetz eigentlich fordert.
(Stand:
24.05.2005 00:18)
FRIEDRICHSHAFEN - Manchmal mag es den
Eindruck erwecken, als werde vieles in unserer Kommunalpolitik nur noch über
Bürgerinitiativen entschieden. Ob Thermalbad, Südumfahrung oder Sendemast: Die
Bürger in unseren Kommunen scheinen immer diskussionsfreudiger und damit auch
für die Politik unbequemer zu werden.
Von unserem Mitarbeiter Dominik Veit
"Luft!" "Wo ist der
Ausgang?" Das sind Gedanken, die an diesem Dienstag im März so manchem
Besucher durch den Kopf schießen, der die Gaststätte des Angelsportvereins
betritt. Sprichwörtlich bis unters Dach ist der Raum gefüllt. Mehr als 200
Bürger waren dem Aufruf der Bürgerinitiative gegen den Sendemast im Seewald
gefolgt.
Neben mehreren Stapeln Unterlagen steht ein
Beamer auf dem Tisch, der in der ersten Viertelstunde nicht einmal daran denkt,
so zu funktionieren wie er soll. Auch die Tontechnik lässt zu wünschen übrig.
Daher versteht zunächst nur ein Bruchteil der Besucher, was Initiativensprecher
Helmut Mursinsky mitteilen möchte. Alle Anwesenden verbindet eine Sorge: Welche
negativen Auswirkungen wird der entstehende Sendemast vor unserer Haustür wohl
mit sich führen? Sie stehen exemplarisch für eine Gesellschaft, die ihre
Scheuklappen abgeworfen hat und die sich nicht mehr alles gefallen lassen
möchte. "Die Hemmschwelle, sich in Bürgerinitiativen zu organisieren, ist
gesunken", weiß Christine Ellermann, Geschäftsführerin des Bundesverbands
Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) in Bonn. Der Verband beherbergt unter
seinem Dach rund 120 Initiativen wie etwa Greenpeace. 130 000 bis 150 000
Menschen sind hierin insgesamt organisiert. Es sei vor allem das Verhalten der
Politik - betrachte man es im positiven Sinne - das dazu beitrage, dass
Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen.
Eigene Betroffenheit
Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes für
Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) in Düsseldorf sieht Handlungsbedarf
für Bürgerinitiativen hauptsächlich dort, wo die Politik nicht hilft oder die
Menschen nicht ernst nimmt. Er geht noch weiter: Jansen hält selbst Polemik für
zulässig. "Die Beteiligten argumentieren schließlich mit ihrer eigenen
Betroffenheit." Aus diesem Grund hält der Geschäftsleiter
Bürgerinitiativen nicht nur für wichtig, sondern auch für "unverzichtbar".
Erfolgreich seien Bürgerinitiativen vor allem auf Grund ihrer kurzfristigen
Strategien. Umweltverbände wie der BUND würden mit ihren eher langfristig
angelegten Strategien manchmal schwerfällig wirken und abschrecken, umschreibt
Dirk Jansen den Reiz sich in Bürgerinitiativen zu organisieren.
"Bürgerinitiativen sind weniger formell strukturiert und deshalb oft
flexibler." Das habe Vor-, aber auch Nachteile. So müssen
Bürgerinitiativen etwa auf Beteiligungsrechte wie beispielsweise das
Verbandsklagerecht verzichten.
Seit ihrer Geburtsstunde Anfang der 70er
Jahre haben Bürgerinitiativen immer mehr an Boden gut gemacht. Was mit der
Friedens- und Umweltbewegung begonnen hat und in diesem Zuge auch die Grünen
parlamentsfein machte, schlägt sich mittlerweile in Gesetzesform nieder.
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind heute fester Bestandteil der
Landesverfassungen. "Unsere Repräsentanten haben durch ihr Verhalten oft
für Politikverdrossenheit gesorgt", sagt Helmut Mursinsky. Er sieht vor
allem darin das Erstarken von Bürgerinitiativen. Abgeordnete aller Parlamente
unterlägen zu oft Fraktionszwängen. Zu selten werde nach eigenem Wissen und
Gewissen entschieden, wie es das Grundgesetz eigentlich vorsehe. Im Fall des
Sendemastes war ausschlaggebend, dass die gesamte Angelegenheit nicht vom
Gemeinderat behandelt wurde. Es lag nur ein Beschluss des Umweltausschusses
vor, der ja lediglich eine beratende Funktion habe. Um ihre Ziele zu erreichen
müssten Bürgerinitiativen den notwendigen Druck ausüben. "Außerdem muss
man die entsprechenden Schwachpunkte und Seilschaften aufspüren", erklärt
Mursinsky die Vorgehensweise.
"Brauchen mehr davon"
Menschen wie Mursinsky stoßen bei
Umweltverbänden wie dem BUND auf offene Ohren. Die Verbände unterstützen
Bürgerinitiativen in ihrem täglichen Kampf gegen die Obrigkeit. "Wir
freuen uns über jeden Bürger, der sich für die Umwelt engagiert. Davon brauchen
wir mehr", fordert BUND-Geschäftsleiter Dirk Jansen.}
Stein des Anstoßes in St. Georgen: Der
Sendemast. Foto: Kästle
(Stand: 24.05.2005 00:18)
FRIEDRICHSHAFEN (vedo) Seit 1972 gibt es
sie: Die Bürgervereinigung "Schutz vor Lärm". Entgegen dem
natürlichen Charakter vieler anderer Bürgerinitiativen, ist es um diese niemals
ruhig geworden. Auch heute ist sie noch aktiv und sah erst vor kurzem wieder
zur Messe Aero Handlungsbedarf.
1963 hat alles mit ersten Protesten gegen
Fluglärm begonnen. "Die Erkenntnis wuchs, dass der Gang der Dinge nur
hartnäckig in einer organisierten Form weiter verfolgt werden kann", ist in
der Chronik der Bürgervereinigung nachzulesen. Nachdem ein Sportflugzeug 1972
in das Dach der Kirche "Zum Guten Hirten" gestürzt war, ging es los.
Die "Bürgervereinigung Schutz vor Lärm" gründete sich. Seitdem kommen
die Aktivisten nicht zur Ruhe. So erreichten sie beispielsweise 1983 ein
Fahrverbot für Motorräder in der Altstadt und eine Geschwindigkeitsbeschränkung
auf der inneren Umgehung. Der amtierende Vorsitzende Helge Körber wird nicht
müde, gegen Lärm anzugehen. Zur Aero machte er wieder Lärmmessungen. Dass die
Veröffentlichung der Werte vor zwei Jahren auf recht taube Ohren stieß,
entmutigt Körber nicht. Getreu dem Motto: "Der stete Tropfen höhlt den
Stein."
(Stand:
24.05.2005 00:18)