Beim Friseur weiß man"s: Es steht "fuffzig,
fuffzig"
MARKDORF - Noch etwas
mehr als eine Woche, dann hat Markdorf die Entscheidung: Südumfahrung - ja oder
nein? Über die Stimmung in der Stadt, die heute ihre erste Straßen-Demo erlebt,
und warum es beim Friseur nur das eine Thema gibt: ein Vormittag in Markdorf.
Von unserer
Mitarbeiterin Kerstin Brauers
Ja, die Leute kommen.
Prospekte holen, Pläne gucken, sich outen. Der ist
dafür und der dagegen. Die Dame, die an diesem sonnigen Morgen im
Pförtnerhäuschen des Rathauses sitzt, kann ein Lied davon singen, und sie tut
das auf sehr nette Art. Es ist doch wichtig, dass jeder informiert ist, sagt
sie. Und dass am 6. April auch möglichst viele hingehen zum Bürgerentscheid.
Und wie die Dame im
Rathaus sind viele Markdorfer direkt betroffen.
Wohnen vielleicht wie sie an oder nahe der Straße. Führen Debatten am
Kaffeetisch - aber nicht bei offenem Fenster - oder meiden das Thema, um des
lieben Friedens Willen, weil ein Zweig der Verwandtschaft in Kluftern wohnt und
definitiv gegen die Straße ist.
Hat sich die Stadt in
zwei Lager gespalten? Das nicht. Zu hören ist nur, dass jeder eine Meinung hat.
Abfälliges über den Gegner vernimmt man nicht. Doch aufgerüstet hat man entlang
der Straße. Professionell muten die Banner der Straßenfreunde an, zu denen auch
Lyriker gehören: "Geschützt wird jede Schnecke, der Mensch bleibt auf der
Strecke." Die Gegner bekommen erst weiter draußen ein Gesicht. Da, wo"s grün wird, wo Apfelbäume stehen, und auch in Ittendorf kann man es lesen: "Die Umfahrung
zerschneidet unsere Heimat."
Beim Friseur in der Markdorfer Steigstraße ist die Straße Thema Nummer eins.
Mit diesem Ergebnis: "Fuffzig, fuffzig", schätzt der Chef. Es gibt Tage, da schneidet
er bloß Gegnern die Haare, und solche, da nehmen nur
Befürworter Platz. Es wird knapp werden, tippt man hier. Und für was stimmt der
Meister? Der sagt und lächelt: "Das sage ich nicht." Diplomatisch
hält es auch der Pfarrer, der zur Bushaltestelle eilt. "Ich halte mich
zurück", meint Werner Reihing, sehr charmant,
und ist flugs um die Ecke verschwunden, um den öffentlichen Personennahverkehr
zu unterstützen.
Das ganze Dilemma
offenbart sich ein paar Meter weiter die Marktstraße hinunter. Im
Reitsportgeschäft hat der Inhaber die Wurzel allen Übels ausgemacht: Der
Schwerlastverkehr will einfach nicht auf die Schiene. Der Mann kann beide Seiten
verstehen. Ist Naturfreund und mutmaßt, dass jede Straße Verkehr anzieht. Sieht
aber auch, wie die B 33 unter der Last Tag für Tag "fast
zusammenbricht".
Von der Autobahn-Maut
über den Benzinpreis geht es bis nach China. Da fahren alle mit dem Rad, weiß
der Mann. Doch für das bergige Markdorf ließe sich das eher schlecht
realisieren. Und weiter: Bäckerei, Metzgerei, Apotheke. Hier sind weder
Bürgerentscheid noch Straße beherrschendes Thema. Die Leute wollen in Ruhe
ihren Einkauf erledigen. Ob die Umgehung den Händlern weniger Kundschaft
bringt? Endlich mal keine Meinung an diesem Tag. Schulterzucken. Kopfschütteln.
Wahrscheinlich eher nicht.
Nur in der Zoohandlung
zeigen sie Flagge. "Markdorf braucht die Südumfahrung" klebt es an
der Theke. Die Tochter vom Chef hat das Schild mitgebracht. Am Kebab-Stand
machen sie "Trassenverkauf". Eine politische Demonstration? Ein
Schachzug der Gegner? Der Befürworter? Der Werbebranche? Der Buchstaben-Mafia?
Nein. Das "S" ist verloren gegangen, und "ß" war leider
aus.
Wieder zurück auf der
Bundesstraße macht eine Passantin ihrem Unmut Luft. Sie wohnt gegenüber und
fragt: "Wissen Sie eigentlich, wie oft ich meine Gardinen schon gewaschen
habe" - mit drei großen Fragezeichen hintendran. Markdorf etwas mehr als
eine Woche vor der Entscheidung.
(Stand: 27.03.2003 23:30)