21.03.2003 05:56 |
"Die Straßen sind keine Hinterlandtrasse" |
Hartmut
Kohler, Leiter des Straßenbauamts Überlingen, zu den Umfahrungen Bermatingen und Markdorf |
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Gesamt |
Herr Kohler, wie oft in den
vergangenen 20 Jahren haben Sie sich gewünscht, dass wir die A98 bis
Friedrichshafen hätten?
Nie. Die Autobahn wäre für
diesen Raum hier ungeeignet gewesen. Wir hätten dann genau das, was wir nicht
wollten: Eine große Straße, die Verkehr in eine ländliche Umgebung zieht. Wir
wollen für diesen Raum ein Gleichgewicht der Funktionen "Erholung"
und "Gewerbe- und Industriestandort". Wir wollen die natürliche
Umgebung behalten. Mit einer Autobahn wäre das nicht möglich gewesen.
Aber wird durch den
Planungsfall7 nicht die natürliche Umgebung am Bodensee mit noch mehr Straßen
zugebaut?
Im Gegenteil. Mit dem
Planungsfall7 haben wir viel weniger Straßen als wir mit einer Autobahn von
Stockach bis Lindau hätten bauen müssen. Heute stellt man Überlegungen an, dass
es besser ist, eine vorhandenen Straße leistungsfähig
auszubauen, die dann auch den regionalen und zwischenörtlichen Verkehr
aufnehmen kann. Die B31 Überlingen-Immenstaad-Friedrichshafen wird ja
leistungsfähig ausgebaut und kann dann diese Aufgabe übernehmen. Hätten wir die
Autobahn, hätte es eine Umgehung Friedrichshafen-Immenstaad und eine Vielzahl
von Umgehungen, zum Beispiel von Hagnau und von
Meersburg gegeben. Die jetzige Planung bedeutet weniger Straßenbau, weniger
Kosten und bringt mehr Entlastung im Hinterland.
Die beiden Ortsumfahrungen
Markdorf und Bermatingen sind dann also Schritt eins
in diese Richtung?
Diese beiden Straßen sind
Schritt eins, weil sie jetzt vorrangig verwirklich werden können. Sie sind aber
keine Vorleistungen in dem Sinne, dass dann der Planungsfall gar nicht mehr
verwirklicht werden müsste, sondern sie sind flankierende Maßnahmen, die nicht
zwingend zum Planungsfall7 gehören, diesen aber ergänzen.
Ein Vorwurf der
Straßengegner lautet: Die beiden Ortsumfahrungen sind letztlich eine
Hinterlandtrasse. Was sagen Sie dazu?
Dazu gibt es eine ganz
klare Stellungnahme des Straßenbauamts und auch von Minister Müller: Diese
beiden Straßen um Markdorf und Bermatingen sind keine
Vorleistung für eine Hinterlandtrasse, sondern diese Maßnahmen dienen in erster
Linie zur Verkehrsentlastung in diesen Ortschaften. Der vorhandene Verkehr soll
eben umgelenkt werden und zwar jetzt schon. Die Umfahrungen sind von den
baulichen- und den Leistungsvoraussetzungen überhaupt nicht geeignet für eine
Hinterlandtrasse und die Einzelmaßnahmen sind auch nicht als Kette für eine
Hinterlandtrasse zu sehen.
Das heißt, die
Südumfahrungen sind also Sofortmaßnahmen - deren Realisierung ja auch noch
Jahre dauern wird - für die beiden betroffenen Gemeinden?
Genau, so ist das zu sehen.
Worauf wurde besonderes
Augenmerk bei der ersten Planung der Südumfahrung Markdorf gelegt?
Vorrangiges Ziel war eine
bestmögliche Verkehrsentlastung der heutigen Ortsdurchfahrt in Markdorf.
Darüber hinaus müssen wir natürlich andere Ziele beachten: Ein
umweltverträgliches Konzept musste gefunden werden. Die natürliche Landschaft
um Markdorf herum sollte so weit wie möglich erhalten bleiben. Der Erholungswert
soll erhalten bleiben, die Landwirtschaft so weit wie möglich geschont werden.
Natürlich muss auch die städtebauliche Entwicklung, wie sie die Stadt Markdorf
vorhat, beachtet werden.
Haben wir dann das Problem
einer großen Straße in der Nähe von Wohngebieten in 30 Jahren nicht erneut?
Diese Überlegungen haben
eben dazu geführt, dass die Straße viel weiter im Süden liegt, als ursprünglich
angedacht. Dennoch glaube ich kaum, dass die Stadtentwicklung so weit Richtung
Süden gehen wird. Ein weiterer Vorwurf der Straßengegner lautet, dass man diese
beiden Straßen gar nicht mehr brauche, wenn P7 komme. Die Tatsachen sprechen
gegen diese Annahme. Ursprünglich dachte man mal, dass das so sein könnte, aber
die Praxis und Untersuchungen zeigen, dass es gewisse Verkehrsströme gibt, die
nicht auf die neue B31 Überlingen-Immenstaad-Friedrichshafen zu bündeln sind.
Dazu zählt etwa der Verkehr aus dem Salemer Tal. Wir
haben zwar nachgewiesen, dass die Verkehrsreduzierung durch P7 dann in einer
Größenordnung von 2000 bis 3000 Fahrzeugen pro Tag eintritt. Aber wenn man von
18000 Fahrzeugen auf der Südumfahrung ausgeht, lohnt sich der Bau dieser Straße
allemal.
Zu den betroffenen
Ortsteilen: Hepbach und Leimbach werden ja durch die
Umfahrungen auch entlastet. Haben sie Ittendorf
vergessen?
Nein, wir haben Ittendorf nicht vergessen. Ittendorf
ist ein sehr schwieriges Feld. Wir haben verschiedene Lösungen angedacht: Eine
Umfahrung im Osten, eine Umfahrung im Westen, auch eine Untertunnelung wurde
untersucht. Aber wir sind da noch zu keinem Ergebnis gekommen. Die Ortschaft
hat sich etwas auf eine Tunnellösung im Verlauf der heutigen Straße versteift
und damit würde das Projekt immens teuer werden. Wir werden aber weiter an
einer Lösung arbeiten. Wir sehen auch, dass Ittendorf
belastet ist, und dass das so kein Dauerzustand sein kann.
Das heißt also, dass Ittendorf besser nicht mit einer Tunnellösung rechnen
sollte?
Die Tunnellösung hat ein
sehr ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis. Denn mit einem Tunnel hätte man zwar
bessere Querungsmöglichkeiten im Ortskern, auch die Schadstoffbelastung wäre
reduziert, aber man hätte permanent frontal von beiden Seiten einen Lärm auf Ittendorf zulaufend. Und das könnte man selbst mit
besonderen Lärmschutzmaßnahmen nicht zufriedenstellend lösen.
Die Ittendorfer
sind aber doch zurecht sauer. "Alle haben
Entlastung und bei uns wird es abgeladen", sagen sie.
Abgeladen kann man das aus
unserer Sicht nicht nennen. Stetten und Ittendorf
sind vor allem so lange zusätzlich betroffen, solange die neue B31 zwischen
Immenstaad und Meersburg nicht gebaut ist, das gilt aber auch für die Bürger
aus Kluftern. Wenn die neue B31 da ist, wird es
wieder zu einer Entlastung kommen. Leider nicht, und das räumen wir ein, in dem
Umfang, wie es wünschenswert wäre, aber wir werden an diesem Problem
weiterarbeiten. Dazu brauchen wir die Kooperation mit der Gemeinde, die auch an
einer Kompromisslösung mitarbeiten muss.
Welchen Eindruck haben Sie
von den Bürgerversammlungen in der vergangenen Woche mitgenommen?
Ich denke, dass es sich
sehr gelohnt hat, sich mit den Bürgern auseinander zu setzen. Die Aussprache
war ja überwiegend sachlich. Wir wollten informieren und uns aber auch die
Belange der Bürger anhören. Ich glaube, das ist im Großen und Ganzen auch gelungen.
Damit haben wir die Grundlage für den Bürgerentscheid und auch alle weiteren
Entscheidungen gelegt.
Haben sie konkrete
Anregungen mitgenommen, etwa den Wunsch nach einer Tieferlegung der Trasse?
Es sind verschiedene Dinge
angesprochen worden. Etwa auch das Thema "Haslacher Knoten", der zwar
so wie er bisher geplant ist, eine Standardlösung darstellt, aber wir dort eher
etwas anderes verwirklichen wollen. Und zwar eine Art Kreisverkehr in zwei
Ebenen: Der durchgehende Verkehr wird unten durch geleitet und die Anbindungen
erfolgen quasi im ersten Stock. Dasselbe gilt für die Trassenlage in der Höhe
und die Optimierung für den Lärmschutz. Das sind alles Dinge für die
Feinabstimmung, die generell in dieser ersten grundsätzlichen Planungsphase
noch nicht möglich sind.
Wie glauben Sie, wird der
Bürgerentscheid ausgehen?
Das ist schwer
abzuschätzen, weil sich die Mehrheit - und das scheinen doch die
Straßenbefürworter zu sein - oft nicht so äußert wie die Minderheit. Mir wurde
aus den Gemeinden berichtet, dass es schon nach einer Zustimmung für die
Umfahrungen aussehe. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann geht für uns
auch nicht die Welt unter. Das Straßenbauamt hat noch andere Projekte, die auch
wichtig sind.
Angenommen der
Bürgerentscheid geht pro Südumfahrung aus, bis wann könnte der erste Stein
bewegt werden?
Wenn der Bürgerentscheid
pro Südumfahrung ausfällt, werden wir die Planfeststellung vorbereiten und im
nächsten Jahr das Planfeststellungsverfahren einleiten, das läuft dann
schätzungsweise zwei Jahre. Dann könnte ab 2006/7 mit dem Bau begonnen werden,
wenn die nötigen finanziellen Mittel bereitstehen.
Davon ist aber auszugehen?
Nicht unbedingt. Es gibt
nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) auch Wartzeiten und eine
Prioritätenliste. Und hinzu kommt, dass auch die
restliche Finanzierung durch den Baulastträger - das sind 30 Prozent - stehen
muss.
Angenommen, jetzt würde
nicht pro Südumfahrung entschieden, dann bliebe die Verkehrsführung wie sie
jetzt ist, bis P7 realisiert würde.
Man muss hier
unterscheiden. Wenn die Ortsumfahrung Markdorf gebaut wird, muss Bermatingen noch nicht gebaut sein. Andererseits ist es so,
wenn die B31 zwischen Friedrichshafen und Immenstaad gebaut ist, dann muss
hinsichtlich eines Zubringers von Markdorf gehandelt werden. Deshalb gibt es da
schon gewisse Zwänge.
Sie persönlich mussten sich
bei den Bürgerversammlungen auch einige Angriffe gefallen lassen. Und sie
bezogen ja in ihrem Statement in der Markdorfer
Stadthalle auch Stellung dazu. Wie gehen Sie damit um, dass Sie plötzlich zum
Entscheidungsträger gemacht werden?
Ich fühle mich nicht
persönlich angegriffen. Ganz im Gegenteil habe ich das Gefühl, dass ich auch
mit den Straßengegnern ein sehr offenes Verhältnis habe. Ich war eher der
Meinung, dass ich darstellen musste, dass wir als Straßenbauamt eine
Dienstleistung für den Landkreis erfüllen. Im Besonderen wollte ich da auch
klarmachen, dass kein Planungsbüro von diesem Straßenbauprojekt abhängig ist.
Und wenn hier jemand den Verdacht äußert, dass hier etwas getrickst ist, dann
sage ich es noch einmal: Dem ist nicht so.
Die Fragen stellte
Carola Stadtmüller