Verkehrsexperte Wolfram Ressel über Fallstricke bei der Straßenplanung
Herr Ressel,
aus Sicht vieler Menschen verkommen die deutschen Fernstraßen immer mehr. Ist
der Eindruck gerechtfertigt?
Ja. Wenn man alle Autobahnen und
Bundesstraßen in Deutschland nimmt, verschlechtert sich der Zustand.
Fehlt das Geld oder ist die
Planung schlecht?
Der Erhalt des Netzes ist unterfinanziert,
auch wenn man immer mal mit Nachtragshaushalten nachschießt. Je nachdem, wo man
mehr neu bauen will, wird von den Mitteln für die Erhaltung auch mal was
rübergeschoben.
Die Ortsumfahrung
Friedrichshafen der B31 ist seit Jahren im sogenannten vordringlichen Bedarf
des Bundesverkehrswegeplans, doch ein Baubeginn ist nicht in Sicht. Die
Menschen fragen sich, was der vordringliche Bedarf im Gegensatz zum weiteren
Bedarf eigentlich bedeutet.
Vordringlicher Bedarf heißt eben nicht, dass
auch zwingend gebaut wird, wenn er auch zeitlich vorzuziehen ist. Das ist
letztlich eine Geldfrage. Der weitere Bedarf ist eher „nice
to have“. Mir sind kaum Maßnahmen in Deutschland
bekannt, die aus dem weiteren Bedarf umgesetzt wurden.
Ist die Beteiligung der
Öffentlichkeit im Planfeststellungsverfahren ein Pferdefuß?
Heute greift die Öffentlichkeit teils sehr
massiv ein. Bürgerinitiativen mit gutem rechtlichen
Beistand können das Verfahren lange verzögern. In der Vorplanung können etwa
bestimmte Varianten aus Umweltschutzgründen abgelehnt werden. In sensiblen
Gebieten haben Sie bei bestimmten Tier- und Pflanzenarten alleine zwei Jahre
Untersuchungszeitraum, wenn etwa Ökologen Wanderungsbewegungen von Käfern
untersuchen.
Ist es noch zeitgemäß, dass so
viele Menschen beteiligt werden?
Die Gesellschaft möchte heute bei großen
Bauvorhaben mitgenommen werden. Transparenz und Sinnhaftigkeit
stehen im Vordergrund. Allerdings sind die Aussagen oft unterschiedlich. Die
einen befürworten Projekte, andere lehnen sie ab. Manches ist dabei auch
irrational und schwer verständlich. Planungen gehen oft über Generationen. Das
ist zu lange. Es gibt von Generation zu Generation unterschiedliche
Verantwortliche, die sich ganz anders entscheiden als ihre Vorgänger. Daher müssen
wir die Planungszeiträume deutlich verkürzen.
Stuttgart 21 ist nun kein
Straßenbauprojekt – aber ist es ein gutes Anschauungsobjekt für Großplanungen?
Die Planungsvarianten für S21 kamen in den
1990er-Jahren auf den Tisch. Ab da dauerte es zwei Jahrzehnte, bis die
entscheidende Phase kam. Die Leute, die sich heute damit befassen, waren damals
fast noch Kinder. Man sieht: Über so lange Planungszeiträume kann sich das, was
man eigentlich wollte, gesellschaftspolitisch überholt haben.
Wie halten Straßenbauprojekte
die Kostenschätzungen ein?
In der Regel werden solche Maßnahmen sehr
genau kalkuliert, aber ich kenne auch welche, die aus dem Ruder gelaufen sind.
Beim Straßenbau ist der Untergrund immer ein Problem. Sie können nur alle 50
Meter bohren, und dazwischen kann immer eine Überraschung, etwa ein Fels,
lauern. Es gibt also auch mal Nachbesserungen bei der Kalkulation, aber
üblicherweise nicht so häufig wie bei Bahnhöfen oder Flughäfen.
In den 1980er-Jahren war die
A98 nördlich des Bodensees geplant, die dann wieder aufgegeben wurde. Wäre ein
solches Vorhaben heute möglich?
Nein, ich glaube nicht. Eine Autobahn
nördlich des Bodensees würde auch Teile eines Naherholungs- und Feriengebiets
betreffen. Das wäre schwierig zu realisieren. Sie können heute auch den
Autobahnring um München nicht mehr schließen, obwohl das sicher gerechtfertigt
wäre. Man könnte vielleicht die B31 am Bodensee entlang vierstreifig ausbauen,
aber eine Autobahn wäre kaum durchsetzbar.
War’s das also mit Neubauten im
Fernstraßennetz?
Nein, denn es gibt wichtige Abschnitte, die
noch gebaut werden müssen. Nach den aktuellen Prognosen wird der
Schwerlastverkehr weiterhin von West nach Ost und von Nord nach Süd stark
zunehmen. Das ist mit heutigen Autobahnen nicht zu bewältigen. Da sprechen wir
über ein Neubaupotenzial von fünf bis zehn Prozent des derzeitigen Netzes. Der
größte Teil der Arbeiten muss allerdings in den Erhalt gehen.
Bundesverkehrsminister Peter
Ramsauer hat angekündigt, statt der bisherigen 55 Prozent künftig nur noch 30
Prozent der bereitstehenden Mittel in den Neubau von Straßen, Schienennetze und
Wasserstraßen fließen. Dafür sollen für den Erhalt 70 Prozent aufgewandt
werden. Ein richtiger Schritt?
In Anbetracht der zunehmenden
Zustandsverschlechterung unseres Straßennetzes halte ich dies für den richtigen
Schritt.
Wo steht Deutschland beim
Straßenbau im europäischen Vergleich?
Man muss das von Land zu Land sehen. In
Frankreich geht Straßenbau oft schnell, da ist aber auch das Land flach und in
der Fläche gibt es wenig Bevölkerung. Auch die Spanier haben das recht gut im
Griff. In den Niederlanden, wo alles dicht besiedelt ist, wird es schwieriger,
trotzdem ist das Straßennetz dort gut erhalten.
(Aktualisiert: 20.07.2013 15:05)