„Autobahnen können Verkehr nicht bewältigen“

Verkehrsexperte Wolfram Ressel über Fallstricke bei der Straßenplanung

Vor dem Bau einer Straße steht ein Marathon an Planung. Markus Riedl sprach mit Wolfram Ressel, Professor für Straßenplanung und Rektor der Universität Stuttgart, über den Ablauf der Planungen und die größten Probleme.

Herr Ressel, aus Sicht vieler Menschen verkommen die deutschen Fernstraßen immer mehr. Ist der Eindruck gerechtfertigt?

Ja. Wenn man alle Autobahnen und Bundesstraßen in Deutschland nimmt, verschlechtert sich der Zustand.

Fehlt das Geld oder ist die Planung schlecht?

Der Erhalt des Netzes ist unterfinanziert, auch wenn man immer mal mit Nachtragshaushalten nachschießt. Je nachdem, wo man mehr neu bauen will, wird von den Mitteln für die Erhaltung auch mal was rübergeschoben.

Die Ortsumfahrung Friedrichshafen der B31 ist seit Jahren im sogenannten vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans, doch ein Baubeginn ist nicht in Sicht. Die Menschen fragen sich, was der vordringliche Bedarf im Gegensatz zum weiteren Bedarf eigentlich bedeutet.

Vordringlicher Bedarf heißt eben nicht, dass auch zwingend gebaut wird, wenn er auch zeitlich vorzuziehen ist. Das ist letztlich eine Geldfrage. Der weitere Bedarf ist eher „nice to have“. Mir sind kaum Maßnahmen in Deutschland bekannt, die aus dem weiteren Bedarf umgesetzt wurden.

Ist die Beteiligung der Öffentlichkeit im Planfeststellungsverfahren ein Pferdefuß?

Heute greift die Öffentlichkeit teils sehr massiv ein. Bürgerinitiativen mit gutem rechtlichen Beistand können das Verfahren lange verzögern. In der Vorplanung können etwa bestimmte Varianten aus Umweltschutzgründen abgelehnt werden. In sensiblen Gebieten haben Sie bei bestimmten Tier- und Pflanzenarten alleine zwei Jahre Untersuchungszeitraum, wenn etwa Ökologen Wanderungsbewegungen von Käfern untersuchen.

Ist es noch zeitgemäß, dass so viele Menschen beteiligt werden?

Die Gesellschaft möchte heute bei großen Bauvorhaben mitgenommen werden. Transparenz und Sinnhaftigkeit stehen im Vordergrund. Allerdings sind die Aussagen oft unterschiedlich. Die einen befürworten Projekte, andere lehnen sie ab. Manches ist dabei auch irrational und schwer verständlich. Planungen gehen oft über Generationen. Das ist zu lange. Es gibt von Generation zu Generation unterschiedliche Verantwortliche, die sich ganz anders entscheiden als ihre Vorgänger. Daher müssen wir die Planungszeiträume deutlich verkürzen.

Stuttgart 21 ist nun kein Straßenbauprojekt – aber ist es ein gutes Anschauungsobjekt für Großplanungen?

Die Planungsvarianten für S21 kamen in den 1990er-Jahren auf den Tisch. Ab da dauerte es zwei Jahrzehnte, bis die entscheidende Phase kam. Die Leute, die sich heute damit befassen, waren damals fast noch Kinder. Man sieht: Über so lange Planungszeiträume kann sich das, was man eigentlich wollte, gesellschaftspolitisch überholt haben.

Wie halten Straßenbauprojekte die Kostenschätzungen ein?

In der Regel werden solche Maßnahmen sehr genau kalkuliert, aber ich kenne auch welche, die aus dem Ruder gelaufen sind. Beim Straßenbau ist der Untergrund immer ein Problem. Sie können nur alle 50 Meter bohren, und dazwischen kann immer eine Überraschung, etwa ein Fels, lauern. Es gibt also auch mal Nachbesserungen bei der Kalkulation, aber üblicherweise nicht so häufig wie bei Bahnhöfen oder Flughäfen.

In den 1980er-Jahren war die A98 nördlich des Bodensees geplant, die dann wieder aufgegeben wurde. Wäre ein solches Vorhaben heute möglich?

Nein, ich glaube nicht. Eine Autobahn nördlich des Bodensees würde auch Teile eines Naherholungs- und Feriengebiets betreffen. Das wäre schwierig zu realisieren. Sie können heute auch den Autobahnring um München nicht mehr schließen, obwohl das sicher gerechtfertigt wäre. Man könnte vielleicht die B31 am Bodensee entlang vierstreifig ausbauen, aber eine Autobahn wäre kaum durchsetzbar.

War’s das also mit Neubauten im Fernstraßennetz?

Nein, denn es gibt wichtige Abschnitte, die noch gebaut werden müssen. Nach den aktuellen Prognosen wird der Schwerlastverkehr weiterhin von West nach Ost und von Nord nach Süd stark zunehmen. Das ist mit heutigen Autobahnen nicht zu bewältigen. Da sprechen wir über ein Neubaupotenzial von fünf bis zehn Prozent des derzeitigen Netzes. Der größte Teil der Arbeiten muss allerdings in den Erhalt gehen.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat angekündigt, statt der bisherigen 55 Prozent künftig nur noch 30 Prozent der bereitstehenden Mittel in den Neubau von Straßen, Schienennetze und Wasserstraßen fließen. Dafür sollen für den Erhalt 70 Prozent aufgewandt werden. Ein richtiger Schritt?

In Anbetracht der zunehmenden Zustandsverschlechterung unseres Straßennetzes halte ich dies für den richtigen Schritt.

Wo steht Deutschland beim Straßenbau im europäischen Vergleich?

Man muss das von Land zu Land sehen. In Frankreich geht Straßenbau oft schnell, da ist aber auch das Land flach und in der Fläche gibt es wenig Bevölkerung. Auch die Spanier haben das recht gut im Griff. In den Niederlanden, wo alles dicht besiedelt ist, wird es schwieriger, trotzdem ist das Straßennetz dort gut erhalten.

(Aktualisiert: 20.07.2013 15:05)