04.2004 06:03

Es wird gespart - koste es, was es wolle

Berliner Kürzungen bei Straße und Schiene werden teuer: Planungen verfallen, Baustellen ziehen sich ewig hin

In den nächsten Jahren drohen für teures Geld fertig geplante Straßenprojekte im Südwesten zu platzen, weil der Bund kaum Geld für Neubauten bereitstellt. Landes-Verkehrsminister Müller befürchtete, dass nötige Baugenehmigungen verfallen, weil mit den Arbeiten nicht begonnen werden kann. Andere Vorhaben ziehen sich kostenträchtig in die Länge.

Stuttgart

VON JöRG-PETER RAU

 

Stuttgart - Die extremen Kürzungen für Schienen- und Straßenbauten, die Berlin durchgesetzt hat, werden den Steuerzahler doppelt teuer zu stehen kommen. Auf den bereits begonnenen Baustellen wird nur noch langsam weitergebaut, weil das Geld bestenfalls tröpfchenweise fließt. Zudem drohen aufwändige Planungsverfahren nichtig zu werden, weil nicht rechtzeitig mit den Arbeiten begonnen wurde. In Fällen, in denen die entscheidende Baugenehmigung, der so genannte Planfeststellungsbeschluss, nach zehnjähriger Untätigkeit unwirksam wird, muss der gesamte Prozess von vorne begonnen werden.

Baureife Projekte, bei denen die Bagger morgen anrollen könnten, wenn nur genug Geld da wäre, gibt es in Baden-Württemberg genug - mehr als in jedem anderen Bundesland: Landes-Verkehrsminister Ulrich Müller (CDU) erklärte, fast die Hälfte aller Projekte mit fertigem Planfeststellungsbeschluss in Deutschland insgesamt entfielen auf den Südwesten.

In einigen Fällen führt der Wettlauf mit der Zeit zu der grotesken Situation, dass ein wenig gebaut wird, damit die Rechte erhalten bleiben. "Einige hunderttausend Euro" beispielsweise, so Müller, werden für die neue Umgehungsstraße um Ergenzingen zwischen Horb und Stuttgart gesteckt, ohne dass die Autofahrer davon irgendetwas hätten. Auch in Tuttlingen und Umkirch wurde sicherheitshalber schon einmal investiert.

Sparen kann auch teuer werden, wenn zu langsam gebaut wird. "Der Bauablauf könnte in vielen Fällen zügiger sein", sagt Minister Müller vorsichtig. In seinem eigenen Landtags-Wahlkreis hat er ein Paradebeispiel: Die Umgehung bei Eriskirch-Schlatt an der Bundesstraße 31 verteuerte sich, weil der zähe Geldfluss aus Berlin die Bauzeit für gut zwei Kilometer Straße auf acht Jahre anwachsen ließ. Von den Staus, die schon Jahre früher hätten vermieden werden können, redet er schon gar nicht mehr.

Wie hoch die Verluste durch ein insgesamt extrem langsames Bauen sind, konnte Müller nicht sagen. Klar sei aber: Eine Straße, die nur in kleinen und kleinsten Abschnitten gebaut wird, bringt erst nach Jahren oder Jahrzehnten jene Verkehrsentlastung, die eigentlich der Anlass für den Bau war. Hinzu kommen die Mehrkosten durch die Preissteigerung und das Problem, dass nur kleine Baulose vergeben werden können und die Möglichkeit zum günstigen "Großeinkauf" von Leistungen fehlt.

Weil bei völlig ungewisser Finanzierbarkeit einer neuen Straße auch langsamer geplant wird, drohen zudem Kapazitäten bei den Behörden ungenutzt zu bleiben. Die dadurch zusätzlich entstehenden Verluste für das Land konnte Müller nicht beziffern. Doch er nannte eine aufschlussreiche Vergleichszahl: Die Deutsche Bahn habe für ganz Deutschland 200 Millionen Euro als "Bremskosten" zur Seite gelegt. Von diesem Geld werden Ausgaben für geplatzte Projekte bestritten- etwa ein Sozialplan für den Personalabbau oder Schadenersatzforderungen von Firmen, die bereits Aufträge erhalten oder für nun gekippte Projekte Vorleistungen erbracht haben.

Müller hofft, dass er einen Teil der Bundesmittel, die eigentlich nur für den Straßenunterhalt gedacht sind, in Neubauten pumpen kann. Damit könnten vielleicht wenigstens jene Projekte noch realisiert werden, die vom Bund noch im September als gesichert bezeichnet worden waren - so die Umgehungen von Winnenden oder Magstadt. Zudem stieg er sehr viel vehementer als bisher in die Debatte um den Aufbau Ost ein. Eine gerechtere Verteilung zwischen ostdeutschen Krisen- und westdeutschen Wachstumsregionen sei gerade beim Straßen- und Schienenbau zwingend nötig: "In Ostdeutschland werden Straßen gebaut, damit dort irgendwann einmal Verkehr entsteht. In Baden-Württemberg ist der Verkehr längst da, und die Straßen werden dennoch nicht gebaut."

Die Liste der Grausamkeiten ist lang und zwingt Müller, eigene Versprechungen, die er im guten Glauben auf Berlin abgegeben hatte, zurückzunehmen. Der vor wenigen Wochen angekündigte Ausbau der Gäubahn Singen-Stuttgart mit einigen zweigleisigen Abschnitten wurde ebenso auf Eis gelegt wie Verbesserungen auf der Südbahn Ulm-Lindau: "Das ist finito, da findet nichts mehr statt." Selbst der sonst eher fleißige Verwalter als emotionsgeladene Politiker, Müller, wird angesichts so vielen Stillstands, Verschwendens und Scheiterns für einen Moment persönlich: "Da könnten einem die Tränen kommen."